Psychotherapeutenkammer Bayern

Das "systemische" Paradigma in der klinischen Psychologie/Psychiatrie

Veranstaltung

14. Oktober 2011 - Eine Kooperationsveranstaltung des Departments für Psychologie der LMU München gemeinsam mit der PTK Bayern, der Isar-Amper-Klinikum gGmbH, Klinikum München-Ost sowie dem Münchner Institut für Traumatherapie und Traumaambulanz. Die gegenwärtige klinische Psychologie und Psychiatrie setzen sehr stark auf die Neurobiologie, um psychische Störungen besser zu „verstehen“ (Andreasen, Grawe, Schiepek). Das Gehirn ist allerdings ein komplexes, hochgradig vernetztes dynamisches System, für dessen Verständnis systemtheoretische Konzepte erforderlich erscheinen (Tretter). Wenn aber Systemtheorien für die klinische Hirnforschung nützlich sein sollen, dann liegt es nahe, zu prüfen, wie der Stand der Systemtheorien in der klinischen bzw. der allgemeinen Psychologie aussieht. Dabei ist auch an klassische Konzepte der Psychopathologie und ihre impliziten systemischen Ansätze zu denken (Janzarik).

Gut etabliert in der klinischen Praxis, vor allem im Bereich Psychotherapie, hat sich mittlerweile der Ansatz der systemischen Familientherapie/Therapie (Schweitzer-Rother). Insbesondere der Einfluss des Konstruktivismus als Erkenntnistheorie zeichnet diesen Ansatz als eine systemische Kommunikationstheorie und -praxis aus und wird als „Kybernetik zweiter Ordnung“ bezeichnet. Eng mit diesem Ansatz verbunden wurden in Patient-Therapeuten-Interaktionen kritische Fluktuationen empirisch identifiziert, die zu Zustandsübergängen führen können, etwa im Sinne von Zustandsbesserungen bei Depressionen oder Panik-Störungen (Schiepek). Dieser methodische Ansatz beruht auf der „Synergetik“ als übergreifendem Theorierahmen von Hermann Haken, insofern das Phänomen der Kohärenz und Selbstorganisation in Form von multimodalen Systemzuständen und den Übergängen über Selbstorganisation als Heuristik auch in der Psychologie angewandt werden kann.
 
Auch symptomatologische computergestützte Modellierungen, die die Depression oder die Schizophrenie betreffen und die (zirkuläre) Kaskaden der funktionellen Beziehungen zwischen einzelnen Symptomen berücksichtigen, wurden fallweise als Heuristiken verwendet.
 
Netzwerk-Konzepte wurden in der klinischen Psychologie genutzt, die helfen, Zustandsübergänge zu verstehen (Caspar u. Berger).
 
Es fragt sich daher, inwiefern das „systemische Paradigma“ als Konzeptualisierung von psychischen Prozessen und Zuständen bzw. deren Störungen als Netzwerk von affektiv-kognitiven Operationen, für Fragen der klinischen Forschung und Praxis auf eine breitere Basis gestellt werden kann. Dabei sind die Fundierung durch psychologische Konzepte (Bischof, Dörner) und der Aufbau einer „personenzentrierten Systemtheorie“ (Kriz) nötig.
 
Es geht dabei vor allem um das eindrucksvolle, gut fundierte Züricher Modell der sozialen Motivation von Norbert Bischof (1985), das auf verhaltensbiologischen und entwicklungspsychologischen Befunden und regelungstheoretischen Konzepten aufgebaut ist.
 
Auch der Arbeitsansatz der künstlichen Intelligenz, der auf der Basis von Netzwerkmodellen Wahrnehmungsprozesse (Minsky), Lernprozesse (Hebb) und Denken (Klix) zu modellieren erlaubt, findet heute in der kognitiven Psychologie weitere Ausarbeitungen, etwa in Form der umfassenden Konzeptualisierung des Psychischen als „Seelenwagen“ durch Dietrich Dörner.
 
Letztlich liegen auch im Bereich der Psychoanalyse unter der Perspektive der Psychodynamik viele Grundgedanken der Selbstorganisation von Informationsprozessen und die Strukturvorstellungen über psychische Distanzen, die als Strukturen zu verstehen sind, vor. So wurden von Moser bereits Computersimulationen zu den Abwehrmechanismen vorgenommen. Darüber hinaus sind im Zuge der „Neuropsychoanalyse“ interessante neuere Modellierungsansätze zu verzeichnen (Dietrich).
 
Zusammenfassend stellt sich die Frage, welche Begriffe, Konstrukte, Konzepte, Methoden (z. B. von Wirkungsdiagramm zur explorativen Computersimulation), Modelle und Theorien der Systemforschung für die Psychologie/Psychiatrie unter welchen Bedingungen forschungstechnisch, heuristisch, theoretisch und auch klinisch-praktisch nützlich sind und welche über eine reine Metaphorik kaum hinauskommen.
 
En Teil dieser Fragen soll auf der Tagung diskutiert werden.
 
Wir laden Sie sehr herzlich zu dieser Veranstaltung ein und freuen uns auf Ihre Teilnahme und die persönlichen Gespräche am Rande.
Termin10/14/2011
Uhrzeit09:00 - 06:00 Uhr
OrtDepartment für Psychologie der LMU München, Seminarraum 2401, Leopoldstr. 13, München
Referent*innen
  • Prof. Dr. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter, Klinische Psychologie LMU, Suchtabteilung IAK-KMO
  • Prof. em. Norbert Bischof, Psychologie, Universität München
  • Prof. em. Dietrich Dörner, Institut für Psychologie, Universität Bamberg
  • Prof. em. Jürgen Kriz, Institut für Psychologie, Universität Osnabrück
  • Prof. Franz Caspar (angefragt), Klinische Psychologie, Universität Bern
  • Prof. Günter Schiepek, Abteilung Psychotherapieforschung, Paracelsus Universität Salzburg
  • Prof. Jochen Schweitzer-Rother, Institut Medizinische Psychologie, Universität Heidelberg
  • Moderation: Prof. Willi Butollo, Dr. Michael Zehetleitner, Prof. Siegfried Höfling, Prof. Felix Tretter, Dr. Bruno Waldvogel, Prof. Klaus Schneewind
BeitragDie Teilnahmegebühr beträgt 80 Euro. Die Teilnahmegebühr für Psychotherapeut/inn/en in Ausbildung und Student/inn/en beträgt 30 Euro. Für die Veranstaltung werden 9 Fortbildungspunkte anerkannt.
  Es sind keine Plätze mehr vorhanden!
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Veranstaltungsunterlagen

Unterlagen, wie z.B. das Programm der Veranstaltung, finden Sie hier:

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