Gut etabliert in der klinischen Praxis, vor allem im Bereich Psychotherapie, hat sich mittlerweile der Ansatz der systemischen Familientherapie/Therapie (Schweitzer-Rother). Insbesondere der Einfluss des Konstruktivismus als Erkenntnistheorie zeichnet diesen Ansatz als eine systemische Kommunikationstheorie und -praxis aus und wird als Kybernetik zweiter Ordnung bezeichnet. Eng mit diesem Ansatz verbunden wurden in Patient-Therapeuten-Interaktionen kritische Fluktuationen empirisch identifiziert, die zu Zustandsübergängen führen können, etwa im Sinne von Zustandsbesserungen bei Depressionen oder Panik-Störungen (Schiepek). Dieser methodische Ansatz beruht auf der Synergetik als übergreifendem Theorierahmen von Hermann Haken, insofern das Phänomen der Kohärenz und Selbstorganisation in Form von multimodalen Systemzuständen und den Übergängen über Selbstorganisation als Heuristik auch in der Psychologie angewandt werden kann.
Auch symptomatologische computergestützte Modellierungen, die die Depression oder die Schizophrenie betreffen und die (zirkuläre) Kaskaden der funktionellen Beziehungen zwischen einzelnen Symptomen berücksichtigen, wurden fallweise als Heuristiken verwendet.
Netzwerk-Konzepte wurden in der klinischen Psychologie genutzt, die helfen, Zustandsübergänge zu verstehen (Caspar u. Berger).
Es fragt sich daher, inwiefern das systemische Paradigma als Konzeptualisierung von psychischen Prozessen und Zuständen bzw. deren Störungen als Netzwerk von affektiv-kognitiven Operationen, für Fragen der klinischen Forschung und Praxis auf eine breitere Basis gestellt werden kann. Dabei sind die Fundierung durch psychologische Konzepte (Bischof, Dörner) und der Aufbau einer personenzentrierten Systemtheorie (Kriz) nötig.
Es geht dabei vor allem um das eindrucksvolle, gut fundierte Züricher Modell der sozialen Motivation von Norbert Bischof (1985), das auf verhaltensbiologischen und entwicklungspsychologischen Befunden und regelungstheoretischen Konzepten aufgebaut ist.
Auch der Arbeitsansatz der künstlichen Intelligenz, der auf der Basis von Netzwerkmodellen Wahrnehmungsprozesse (Minsky), Lernprozesse (Hebb) und Denken (Klix) zu modellieren erlaubt, findet heute in der kognitiven Psychologie weitere Ausarbeitungen, etwa in Form der umfassenden Konzeptualisierung des Psychischen als Seelenwagen durch Dietrich Dörner.
Letztlich liegen auch im Bereich der Psychoanalyse unter der Perspektive der Psychodynamik viele Grundgedanken der Selbstorganisation von Informationsprozessen und die Strukturvorstellungen über psychische Distanzen, die als Strukturen zu verstehen sind, vor. So wurden von Moser bereits Computersimulationen zu den Abwehrmechanismen vorgenommen. Darüber hinaus sind im Zuge der Neuropsychoanalyse interessante neuere Modellierungsansätze zu verzeichnen (Dietrich).
Zusammenfassend stellt sich die Frage, welche Begriffe, Konstrukte, Konzepte, Methoden (z. B. von Wirkungsdiagramm zur explorativen Computersimulation), Modelle und Theorien der Systemforschung für die Psychologie/Psychiatrie unter welchen Bedingungen forschungstechnisch, heuristisch, theoretisch und auch klinisch-praktisch nützlich sind und welche über eine reine Metaphorik kaum hinauskommen.
En Teil dieser Fragen soll auf der Tagung diskutiert werden.
Wir laden Sie sehr herzlich zu dieser Veranstaltung ein und freuen uns auf Ihre Teilnahme und die persönlichen Gespräche am Rande.