Rede von Präsdident Dr. Melcop zur Eröffnung des 1. Baerischen Landespsychotherapeutentags
Sehr geehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen,
die bayerische Landeskammer der PP und KJP repräsentiert zwei Berufe, die 1999 ihre gesetzliche Verankerung erhalten haben, die aber schon seit vielen Jahrzehnten maßgeblich zur Versorgung von Menschen psychischen Störungen beitragen. Heute wird von unseren Berufsangehörigen in der psychotherapeutischen Versorgung in Bayern und in Deutschland mit Abstand der größte Anteil geleistet.
Wir als junge Kammer wollen mit diesem Landespsychotherapeutentag
- nach innen: für die Mitglieder einen Raum für die fachlichen Fortbildung und Diskussion und des Zusammentreffens bieten,
- Nach außen ein Signal setzen: - hierzu wollen wir: gemeinsam mit anderen wichtigen Vertretern des Gesundheitssystems über die aktuelle Versorgungssituation diskutieren
Wir haben beim Thema des Landespsychotherapeutentages zwei miteinander verknüpfte inhaltliche Haupt-Schwerpunkte gewählt: Psychotherapie im Wandel des Gesundheitssystems und, - als Vertiefung und Verdeutlichung - am Beispiel der Depression.
Wir möchten also mit Ihnen gemeinsam darüber nachdenken, wo Psychotherapie und die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sich im Gesundheitssystem und damit in der gesamten gesellschaftlichen Verantwortung verorten. Wo wollen und wo sollen wir im System unseren Platz und unsere Funktion haben? Wie kann der Beitrag, den Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten heute im Rahmen der Depressionsbehandlung leisten, dargestellt werden, wie können Zukunftsperspektiven aus fachlicher Sicht aussehen und – nicht zuletzt, was kann jedes Kammer-Mitglied tun, um zu einer optimalen Behandlung
und Versorgungssituation auf dem neuesten Stand der wissenschaftlich fundierten Psychotherapieforschung mit beizutragen? D.h. es geht sowohl um die Suche nach der besten Arbeitsweise für die einzelne Patientin, den einzelnen Patienten, der zu uns kommt. Aber es geht auch darum, dass wir unsere Profession als zentralen Pfeiler in einer Gesellschaft begreifen, in der immer mehr Menschen leben mit der Diagnose einer behandlungsbedürftigen psychischen Krankheit, insbesondere auch einer Depression. Wir wollen hier unsere Verantwortung auch über die einzelne Therapiesitzung hinaus wahrnehmen und ausfüllen.
Depressive Stimmungen gehören als wichtiger Teil unserer Gefühls- und Erlebenswelt zum Menschsein. Heute werden aber psychische Störungen insbesondere mit Diagnosen aus dem Bereich der Depression, in bisher nicht gekanntem Ausmaß festgestellt - und nehmen weiter permanent zu. Depressive
Störungen können als „Volkskrankheit“ ersten Ranges bezeichnet werden. Wir dürfen aber bei der Feststellung des Auftretens von depressiven Erkrankungen nicht stehen bleiben.
Die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen und Lebenswelten der Menschen ändern sich in fortlaufend zunehmender Geschwindigkeit. Die Anpassungsleistungen, die der einzelne Mensch in seinem Umfeld als Teil einer globalisierten Wettbewerbssituation zu leisten hat, nehmen weiter zu. Dieser Prozess muss im Subjekt verarbeitet werden in Form einer Anpassungsleistung mit dem Ziel, sich selbst als selbstverständlich guter Mittelpunkt der Welt zu begreifen und dort auch wohl zu fühlen. Psychische Störungen und insbesondere depressive Erkrankungen werden heute nicht nur bei der einzelnen Patientin, beim einzelnen Patienten besser erkannt, diagnostiziert. Psychische Störungen und die Patienten müssen auch im größeren Kontext gesehen werden.
Gerade in Zeiten, in denen sowohl psychische Störungen als auch die Wirkung von erfolgreicher Psychotherapie mit bildgebenden Verfahren im Gehirn lokalisiert dargestellt werden können und die biologische und pharmakologische Forschung massiv gefördert wird, muss ein
verstehender Zugang zu den einzelnen Menschen Platz und Raum haben, ein Zugang dazu, wie das gesellschaftliche Umfeld verarbeitet wird und dabei eben oft nicht subjektive Zufriedenheit vor dem Hintergrund der eigenen Lebensgeschichte gefunden werden kann und psychische Krankheit entsteht. Unsere Profession zeichnet sich in ihrer wissenschaftlichen Fundierung dadurch aus, dass sie neben der erfolgreichen Anwendung des statistischen Modells, also des
Zählens, auch in das
Verstehen des
„ER-Zählens“ der einzelnen Patienten eingebettet psychotherapeutisch handelt.
Wir finden im Erzählen unserer Patientinnen und Patienten sowohl individuelle Schicksale und Behinderungen, die wir in therapie- und störungsspezifische Modelle zuordnen, als auch die Auswirkungen gesamtgesellschaftlicher Tendenzen. So finden wir bei ihnen z.B. die direkten Auswirkungen der Notwendigkeit zur individualisierten Lebensgestaltung und den weiteren Rückgang der Einbettung in reale soziale Beziehungen und Netze für viele Menschen. Wir finden auch den zunehmenden Übergang zu
virtuellen globalisierten Netzen.