Bereits im September 2010 hat der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen, beschlossen, dass die alleinige Verordnung von Medikamenten mit dem Wirkstoff Methylphenidat (Ritalin) bei Kindern und Jugendlichen, die an einer Hyperkinetischen Störung bzw. Aufmerksamkeitsdefizit/ Hyperaktivitätsstörung (ADS/ADHS) leiden, unzulässig sei. Stimulanzien wie Ritalin dürfen seither erst dann eingesetzt werden, wenn die nicht-medikamentöse Behandlung erfolglos ist. Ritalin sollte nur im Rahmen einer therapeutischen multimodalen Gesamtstrategie verabreicht werden, die auch psychotherapeutische, pädagogische und soziale Therapiekonzepte nutzt. Ich kann nur im Interesse der jungen Patientinnen und Patienten hoffen, dass diese Vorschriften nicht vergessen wurden, warnt Lehndorfer.
Eine multimodale ADHS-Therapie sollte nach Ansicht der PTK Bayern in erster Linie aus einer Psychotherapie des betroffenen Kindes oder Jugendlichen sowie begleitender Aufklärung und Beratung aller Beteiligten, beispielsweise einem Elterntraining bestehen. Eine Pharmakotherapie sollte nur unter sorgfältiger Abwägung des Nutzens und der Risiken begonnen werden, stellt Lehndorfer fest.
Auch wenn Würzburg und Unterfranken nach dem Report der Barmer als ADHS-Hochburgen in Deutschland gelten, gibt es in dieser Region trotzdem zu wenig Psychotherapeut/innen: Nach einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer aus dem Jahr 2011 müssen in Würzburg Kinder und Jugendliche im Durchschnitt 14,9 Wochen auf den Beginn einer Psychotherapie warten. Im Raum Nordunterfranken/Main-Spessart sogar 24,4 Wochen. In Würzburg gibt es derzeit nur rund 80 Psychotherapeut/innen, nur ein Teil davon behandelt Kinder und Jugendliche. Gäbe es in Würzburg und anderswo mehr Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die verantwortlich Behandlungsmodelle von ADHS anleiten oder dort mitwirken würden, könnte den betroffenen Kindern und Jugendlichen viel früher geholfen werden, so Lehndorfer. Vielfach könnte dann auf Ritalin und andere Medikamente verzichtet werden.
ADHS ist durch eine Aufmerksamkeitsstörung, Überaktivität und Impulsivität gekennzeichnet. Diese drei Kernsymptome beginnen vor dem sechsten Lebensjahr. Symptomatisch sind vor allem Konzentrationsstörungen, Ess- und Schlafprobleme sowie ein starker Bewegungsdrang. Studien haben nachgewiesen, dass ADHS in der Folge zu mehr (Verkehrs-)Unfällen, einem höheren Suchtrisiko, Problemen in Schule und Beruf sowie in Partnerschaften führen können. Nur bei 50 bis 70 Prozent der Kinder, so belegen Studien, normalisiert sich das Verhalten durch Medikamente. Im Vordergrund muss daher die Psychotherapie stehen, um die Folgen einer ADHS zu vermeiden, empfiehlt Lehndorfer. Derzeit läuft eine große Studie in Frankfurt, in der die Wirksamkeit von Verhaltenstherapie, psychodynamischer Psychotherapie und Medikation verglichen wird. Die Zwischenergebnisse zeigen gute Effekte für die Psychotherapie.