Psychotherapeutenkammer Bayern

10. Bayerischer Landespsychotherapeut*innentag am 28. Juni 2025: „Aggression – zwischen Konstruktion und Destruktion“


Meldung vom 04.07.2025

Am 28. Juni 2025 fand der 10. Bayerische Landespsychotherapeut*innentag (LPT) in München statt.

Der LPT befasste sich in sechs Fachvorträgen mit den Fragen: Wie verstehen und bewerten wir das allgemein-menschliche Aggressionspotential? Welche Möglichkeiten haben wir als Psychotherapeut*innen, um Warnzeichen für gefährdendes Verhalten frühzeitig zu erkennen und professionell intervenieren zu können? Rund 200 Kammermitglieder informierten und beteiligten sich an der regen Diskussion.

Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop eröffnete den 10. Bayerischen Landespsychotherapeut*innentag. Er ordnete das Thema des LPT in die aktuelle gesellschaftspolitische Lage ein und stellte den Bezug zu Wut und Aggression als weit verbreitete Stimmung in der Gesellschaft her. Als Betroffene der krisengeprägten Stimmung griff er vor allem Kinder und Jugendliche heraus, deren Zukunft durch Demokratiefeindlichkeit, Kriege und die Klimakatastrophe besonders gefährdet ist. Er betonte dabei den schädlichen Einfluss der Sozialen Medien mit der schnellen Verbreitung von Hassbotschaften und Fake-News. Dr. Melcop betonte, dass auch Personen mit psychischen Erkrankungen von zunehmender Stigmatisierung bedroht sind. Vor dem Hintergrund der gewachsenen psychischen Belastungsfaktoren stellte er das Engagement PTK Bayern für eine flächendeckende Prävention psychischer Störungen, die Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung und die Sicherung des psychotherapeutischen Nachwuchses dar.  
Vizepräsident Dr. Bruno Waldvogel und Vorstandsmitglied Birgit Gorgas moderierten den LPT.
 
im Bild: Kammerpräsident Dr. Nikolaus Melcop (Foto: Sperl)

In einer Videogrußbotschaft wandte sich Judith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention, an die Psychotherapeut*innen. Sie ging u.a. auf das Kapitel Psychotherapie im Koalitionsvertrag ein und bekräftigt ihre Unterstützung bei der Finanzierung der Weiterbildung und der Anpassung der Bedarfsplanung, um lange Wartezeiten zu reduzieren. 

im Bild: Judith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention ( Foto: StMGP)

Prof. Dr. med. Joachim Nitschke, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Straubing, informierte in seinem Vortrag über die Häufigkeit von und Risikofaktoren für Aggressivität und Fremdgefährdung bei psychisch erkrankten Menschen. Er stellte dabei das Konzept und die positiven Ergebnisse eines Modellprojekts zur Verhinderung von Gewalttaten bei Personen mit einem erhöhten Risiko vor. Infolgedessen seien Präventionsstellen als Schnittstelle zwischen Allgemeinpsychiatrie und forensischen Kliniken 2019 im Bayerischen Maßregelvollzugsgesetz (BayMRVG) verankert worden.  

im Bild: Prof. Dr. med. Joachim Nitschke (Foto: Sperl)

Prof. Dr. Barbara Krahé, Professorin i.R. für Sozialpsychologie an der Universität Potsdam, stellte die sozialpsychologische Perspektive zu Entwicklung, Ursachen und Prävention aggressiven Verhaltens vor. Dabei stellte sie folgende Ergebnisse heraus: Aggressives Verhalten entwickele sich in der Interaktion zwischen personalen und situativen Faktoren. Probleme der Ärgerregulation im Kindesalter verstärke aggressives Verhalten über die Zeit, wobei die soziale Zurückweisung durch nicht-aggressive Gleichrangingen (Peers) und die Bindung mit aggressiven Peers vermittelnde Prozesse sind. In Gruppen aggressiver Peers wird das aggressive Verhalten einzelner über die Zeit hinweg gesteigert und normalisiert. Zudem informierte Frau Prof. Dr. Krahé über Zusammenhänge zwischen dem Konsum von Mediengewalt und Aggressionsbereitschaft und stellte die Ergebnisse eines Präventionsprojekts zur Förderung der Medienkompetenz im Umgang mit Gewaltdarstellungen vor. 

im Bild: Prof. Dr. Barbara Krahé (Foto: Sperl)

Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth, Psychoanalytiker und Professor im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt, diskutierte in seinem Vortrag, inwiefern Aggression zur conditio humana gehöre und beleuchtete dies aus der Perspektive der psychoanalytischen Sozialpsychologie. Dabei stellte er verschiedene philosophische Positionen gegenüber und erläuterte die Bedeutung von Bindungen und Mentalisierungssfähigkeit als Schutzfaktor gegenüber destruktiver Aggression. Zudem führte er Befunde der Emotions- und Verhaltensforschung an und resümierte, dass ein zeitgenössisches Menschenbild die Vulnerabilität des Menschen in den Fokus setzen müsse.  

im Bild: Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth (Foto: Sperl)

Andreas Schmiedel, Diplom-Sozialpädagoge (FH) und Leiter der Fachstelle des Münchner Informationszentrum für Männer e. V., erläuterte die Unterschiede von Aggression und Aggressivität in der Paardynamik. Er stellte hierfür unterschiedliche Formen der Gewalt vor und ging auf den Spezialfall der häuslichen Gewalt ein. Dabei legte er dar, dass die Gewaltdynamik als ein Teufelskreisprozess verstanden werden kann. Schmiedel erläuterte mögliche Interventionen und Präventionsansätze und stellte dafür beispielhaft den Ablauf des Täterprogramms im Münchner Informationszentrum für Männer e. V. vor. 

im Bild: Andreas Schmiedel (Foto: Sperl)

Dr. phil. Norbert Beck, Psychotherapeut (KJP und PP) und Leiter des Überregionalen Beratungs- und Behandlungszentrums Würzburg und des Therapeutischen Heims Sankt Joseph, berichtete über das Arbeiten mit hochaggressiven Kindern und Jugendlichen und dem Zusammenspiel von Psychotherapie und Jugendhilfe. Dafür ging er zunächst auf die diagnostische Einordnung von Störungen des Sozialverhaltens nach ICD-10 und ICD-11 sowie verschiedene Verlaufstypen ein. Anschließend stellte er (Be-)Handlungsbausteine bei Störungen des Sozialverhaltens bzw. bei aggressiven Verhalten und verschiedene Handlungsstrategien vor.

im Bild: Dr. phil. Norbert Beck (Foto: Sperl)

Prof. Dr. Roland Imhoff, Professor für Sozial- und Rechtspsychologie am Psychologischen Institut der Gutenberg-Universität Mainz, stellte die Psychologie des Verschwörungsglaubens und seine Rolle als Radikalisierungsmotor vor. Dafür ging er zunächst darauf ein, was eine Verschwörungstheorie bzw. eine Verschwörungsmentalität ist, um anschließend zu diskutieren, was Menschen dazu bringt, sich die Welt mit Verschwörungstheorien zu erklären. Zudem erläuterte er die Sozialen Kosten einer Verschwörungsmentalität und diskutierte mögliche Interventionsansätze. 

im Bild: Prof. Dr. Roland Imhoff (Foto: Sperl)

Die Teilnehmenden nutzten die Veranstaltung, um intensiv mit den Referierenden zu diskutieren und in den Pausen zum kollegialen Austausch untereinander sowie mit dem Vorstand. Seit der Corona-Pandemie findet eine Vielzahl von Veranstaltungen online statt, auch der letzte Bayerische Landespsychotherapeut*innentag in 2022 fand im Online-Format statt. Die Teilnehmenden schätzten den nun wieder stattgefundenen direkten Austausch in den Rückmeldungen als besonders wertvoll ein.

Die Referent*innen und der Vorstand der PTK Bayern bei dem 10. Bayerischen Landespsychotherapeut*innentag in München: (v.l.n.r. Prof. Dr. Roland Imhoff, Prof. Dr. Heiner Vogel, Andreas Schmiedel, Prof. Dr. med. Joachim Nitschke, Dr. Anke Pielsticker, Dr. Norbert Beck, Prof. Dr. Barbara Krahé, Dr. Bruno Waldvogel, Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth, Birgit Gorgas, Dr. Nikolaus Melcop, Nicole Nagel, Prof. Dr. Monika Sommer. (Foto: Sperl)



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