„Cannabishaltige Arzneimittel sind eine sinnvolle Ergänzung für Patientinnen und Patienten mit bestimmen schweren Erkrankungen und vor allem für Tumorpatienten. Cannabis ist aber auch immer noch ein Rauschmittel und kein Allheilmittel und muss mit Augenmaß verordnet werden. Beachtet werden muss auch die optimale Darreichungsforum von Cannabis-Produkten. Aus Patientensicht ist die Kostenübernahme durch die Gesetzliche Krankenversicherung ein wichtiger Punkt. Die vorgeschriebene Begleiterhebung ist zwar ein Mehraufwand für den Arzt, bildet aber eine sinnvolle Datengrundlage für zukünftige Auswertungen und Studien“, erklärt Dr. Heidemarie Lux, Suchtbeauftragte des Vor-standes der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK).
Ulrich Koczian, Vizepräsident der Bayerischen Landesapothekerkammer, stellt klar: „Cannabis ist kein ‚Allheilmittel‘, sondern nur eine weitere, in jedem Einzelfall kritisch zu überprüfende, therapeutische Option. Aufgrund der oft fehlenden Informationen über Wirksamkeit und Sicherheit ist die Anwendung der Cannabisblüten als ultima ratio vorgesehen. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Dosierung zu richten. Das Abmessen von Cannabisblüten ‚nach Gefühl‘ ist für eine medizinische Anwendung nicht zu verantworten, denn das führt zwangsläufig zu Über- oder Unterdosierungen. Wir Apotheker empfehlen deshalb, wenn möglich, auf Rezepturen oder zugelassene Arzneimittel mit standardisierten Inhalts- bzw. Ausgangsstoffen zurückzugreifen.“
Prof. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter, 2. Vorsitzender der Bayerischen Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis e. V. (BAS), erklärt in seinen Ausführungen: „Cannabis ist der Name für eine Pflanze, mit Blüten, Blättern und Stängeln als ‚Bausteinen‘, die ihrerseits etwa 100 molekulare Wirkstoffe enthält. Cannabis-Zubereitungen sollen – so die zugehörige Medizin-Geschichte - Krankheiten heilen können. Sicher aber wirkt es als Rauschmittel und kann Abhängigkeit erzeugen. Für Deutschland bedeutet die nun seit einem Jahr mögliche Ultima-Ratio-Verordnung von Cannabis als Medizin, dass erst umfangreiche Erfahrungen gesammelt werden müssen, um die therapeutische Wirksamkeit nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin (randomisierte kontrollierte Studien) zufriedenstellend absichern zu können. Auch zum Suchtpotenzial von medizinischem Cannabis müssen noch differenzierte und umfassende Untersuchungen durchgeführt werden. Demzufolge sind die Einschätzungen von Fachleuten derzeit äußerst kontrovers. Sie reichen von Cannabis als unwirksames Mittel oder auch als ‚Allheilmittel‘ bis hin zum Suchtmittel. Aus diesem Grund haben wir seitens der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen gemeinsam mit den Bayerischen Heilberufekammern die Initiative ergriffen, die Optionen und Risiken von medizinischem Cannabis im interdisziplinären Dialog zu sondie-ren.“
Dipl.-Psych. Birgit Gorgas, Vorstandsmitglied der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PTK Bayern), wünscht sich eine Versachlichung der Diskussion: „In der medizinischen Anwendung wird Cannabis zur Linderung verschiedener Symptome und Erkrankungen eingesetzt, wohingegen beim individuellen Konsum der Wunsch nach einer bewusstseinsverändernden Wirkung im Vordergrund steht. Doch ein regelmäßiger Konsum kann auch zu Abhängigkeit und weiteren psychischen Störungen führen, insbesondere dann, wenn Cannabis als eine Form der Selbstmedikation eingesetzt wird. Psychotherapie kann eine wichtige Ergänzung zur medizinischen Behandlung von Schmerz- oder Krebserkrankungen sein, und sie ist der zentrale Bestandteil der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen. Es ist insgesamt zu wünschen, dass der Diskurs um die Substanz Cannabis versachlicht und durch weitere Forschung vertieft wird, sowohl im Hinblick auf das medizinische Wirkungsspektrum als auch die gesellschaftliche Bewertung.“
Gemeinsam mit der BAS veranstalten die BLÄK, BLAK und die PTK Bayern am 11. April 2018 im Klinikum rechts der Isar, München, das 17. Suchtforum mit dem Titel „Grundfragen der medizinischen Verwendung von Cannabis“ Rund 400 Ärzte, Apotheker, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Mitarbeiter von Suchthilfeeinrichtungen, Suchtberatungsstellen sowie weitere mit dem Thema Abhängigkeitserkrankungen befasste Berufsgruppen nehmen daran teil.