Den Festvortrag hielt Prof. Dirk Revenstorf, Universität Tübingen, mit dem Titel Liebe, Narzissmus und Psychotherapie in der Postmoderne. Die postmoderne Beziehungskultur sei charakterisiert durch unbegrenzte persönliche Freiheit, eine von Peinlichkeit und Prüderie befreite Sexualität, ungezwungenes Körperbewusstsein und unbefangenes Streben nach Glück. Diese neue Natürlichkeit finde sich dann auch in fröhlicher Sexualisierung der Werbung sowie ungenierten Angeboten auf dem Beziehungsmarkt. Ein weiteres zentrales Charakteristikum sei eine baldige Vorherrschaft der Frauen, eine These, die er mit diversen Statistiken aus diversen Weltregionen belegte. So hatten in den USA Frauen 2011 bereits 51 Prozent der Positionen in gelernten Berufen und Management inne. Von einem narzisstischen Zeitalter könne insofern die Rede sein, als dass starkes Autonomiebedürfnis, Nichteinlassung in tiefe Beziehungen, exhibitionistische Selbstdarstellung, unempathische Gewaltdarstellung zu Unterhaltungszwecken, Idealisierung von Medienfiguren und innere Leere überdeckt durch rücksichtloses Erfolgsstreben, gierige Ansprüchlichkeit, Nutzung von Sex als Konsum, durchaus als Merkmale postmodernen Zeitgeistes gesehen werden können und allesamt Züge einer narzisstischen Persönlichkeit seien. Postmodernen Liebesbeziehungen mangele es an Verbindlichkeit. Durch ihre zunehmende finanzielle Unabhängigkeit ließen sich Frauen nicht mehr in den häuslichen Gulag verbannen. Marktorientierte Partnerwahl und Bindungsscheu sowie die Entkoppelung von Sexualität und Bindung führten zu einer Konsumhaltung, die dauerhafte Beziehungen erschwerten und einer narzisstischen Persönlichkeit entgegenkämen. Die narzisstische Komponente der gegenwärtigen Kultur sei auch dadurch individualistisch geprägt, weil es in ihr an der Empathie für die anderen fehle. Auf der anderen Seite konzentriere sich die Glücksuche und die Stabilisierung des Selbstwertes bei den Mitgliedern der einsamen Masse wie nie zuvor auf die Liebesbeziehung, die aber nur mit Empathie und tieferer Einlassung gelinge. Prof. Revenstorf erläuterte dann anhand von Beispielen aus der Praxis, wie die dargestellten Probleme insbesondere in Paartherapie aufgegriffen werden können. Am Ende seines Festvortrags zitierte er aus einem Gedicht von Gibran: Und die Liebe ist die Gnade, die das Leben mit Sinn erfüllt.